texte
zu den Bildern von Monika Schlerkmann

Aus der Askese der Poesie
von Rainer B. Schossig

Zeichnen als Suche und Bewegung
Monika Schlerkmann hat in ihrer Arbeit einen langen Weg zurückgelegt: Am Anfang standen realistische Zeichnungen, Vorliebe für Portrait- und Aktstudien. Dann verschwanden Figur und Gegenstand aus ihren Bildern. Dünne Farb- und Papierschichten verdichteten sich zu konkreten Aussagen über Raum und Rhythmus, Fläche und Form in der Ebene. Die Oberflächen waren glatt oder rau, transparent oder opak. Pigmente und Lacke gaben den Arbeiten besonderen Reiz. Lange standen im Mittelpunkt eine geometrischen Strenge, eine geradezu asketische Reduktion orthogonaler Formen, ein Hang zu fast monochromen Flächen. Ihre Bilder verbanden die Sperrigkeit des Materials mit streng orthogonalen Kompositionen; erzählende Details waren selten. Aber Monika Schlerkmann suchte anscheinend nach Spiel-Räumen für Zufall und Spontaneität. Und den hat sie sich in den vergangenen Jahren zunehmend erobert. Heute sind ihre Bilder lebendiger, poetischer denn je. Fernab jeder dekorativen Buntheit haben sie gleichsam die Augen aufgeschlagen, sie haben begonnen zu erzählen: von Leben und Werden, vom Träumen und Erinnern. Märchen und Geschichten, Anklänge an Kinderlieder... All dies erzählt nicht zuletzt auch von Monika. Das Zeichnen ist ihr zentrales, elementares Betätigungsfeld geblieben, am Anfang gern auch streng, mit schwarzer japanischer Tusche auf weißes Papier. Doch zunehmend zeichnet sie eingebettet in farbige Felder, wässrige oder schwammige Gründe.

Zeichnen als Bilder-Rätsel
Was sehen wir da eigentlich? Farbige Gründe und Felder, nicht groß, Parzellen, in denen es grünt, selten harte Böden, wenig Stein, eher Borke, Sandiges, Fruchtbare Erden, Humus, frisch aufgegraben, voller Wurzeln und Keime. Vieles deutet auf Wasser, Aquarell malt Pfützen und dunkelnde Teiche, in denen Schlingpflanzen und anderes wuchert, gelegentlich ein Horizont, hier und da etwas Gebautes, Behausungen, schorfige Wände, dann auch Kostbares: Gold und Silber, metallische Fäden, gebogene Drähte, die selten wie Grenzlinien öfter wie Wege die Felder durchziehen, Spuren hinterlassen, Disparates verbinden: Die Linie, als gezogene, geprägte, hinterlassene Spur, Linie weniger als Kante, sondern als Aktions-Spur der Feder, des Stifts, des Pinsels.
Was noch? Da eine Form: Ein Stiefel oder ein Vogel? Dort: Ist das ein Fisch oder eine Leiter? Hier: ein Schiff oder eine Brücke? Und da wiederum: Aufblitzend: Eine Säge oder eine Krone? Immer wieder auch Blattformen, Lanzett- oder Eiförmig, gesägt und gespalten, Schachtelhalm oder Papyrus, Bambus oder Tang? Was weiter? Viele kleine Ungeheuer, Kobolde, Mischwesen. Plankton, Pantoffeltierchen, Seepferdchen oder Krill? Korallen, Seegurken und anderes submarines Getier und Gewächs. Sonderbar als abgesondertes, Wunderbares zum verwundern. Ganz beiläufig. Lakonisch präsentiert. Kurz nach dem Auftauchen, kurz vorm Verschwinden. Pulsierend und glitzernd,

Gezeichnete Zaubersprüche
Monika Schlerkmanns Zeichnung ist nie als Haupt- und Staatsaktion, sondern eher lieber Tagebuch-Eintragung, hingeschrieben wie eine ephemere Notiz, ohne poetische Hintergedanken, also wirklich poetisch. Notizen reden über Eindrücke, Erlebnisse, Ängste, Verstörungen. Über Unruhe, Sorge, Schlaflosigkeit – auch extreme Situationen fordern zur Zeichnung heraus. Sie wecken archetypische Bilder des Übergangs: Das Boot als Mittel des Fährmanns, die Leiter als Mittel des Überwindens und Übersteigens von Hindernissen, Himmelsleiter und Feuerwehrleiter. Die Krone als Symbol der Schöpfung, der Ordnung, des höheren Sinns. Der Fisch als geheimnisvoller Vorfahr im wässrigen Reich. Die Schlange als „Guter Feind“, Beschützerin des Wohlstands, ambivalent, fremd und doch sehr weise und friedlich. Monika Schlerkmann ist aus der Strenge in die Vielfalt desGleich-Gültigen gegangen. Der Weg war lang, er ist noch nicht zu Ende. Vor allem aber hat er kein Ziel. Monikas Weg ist ziellos, das heißt nicht orientierungslos, sondern frei. Das hat sie bei ihrer Lehrerin Janet Fruchtmann gelernt: Zeichnen mit geschlossenen Augen. Sie schweift – ihren Gedanken und Assoziationen folgend – durch ein zu eroberndes Traum-Gebiet, durch Farbwelten und Formenreichtum, mit flacher Hierarchie, ohne Orden und Ehrenzeichen.

Zeichnen als Jagen und Sammeln
Monika Schlerkmann gleicht einer Jägerin und Sammlerin. Doch die Beute, die sie mitbringt, ist lebendiger denn je. Sie schlägt Wurzeln und treibt aus, vervielfältigt sich und gedeiht auf ihren Blättern, in ihren Aquarien, auf ihren Farbfeldern. Die Dinge bleiben da, im Gedächtnis, umrunden und umgeben uns. Zeichnen und Malen wird Meditation. In der Mitte sein, im eigenen Zentrum und in der Mitte der allseitig geheimnisvoll miteinander verbundenen Dinge. Aus Ob-jekten, Gegen-Stände werden verzauberte Weggefährten, Mitreisende auf einem umwegigen, ausschweifenden Weg. Es ist dieses in Bewegung sein, das allenfalls ein Ziel hat: Nach Hause zu kommen, nicht jedoch in falscher Innerlichkeit, sondern im Geflecht der Wahlverwandtschaften, im Netz von Spuren, die sich kreuzen wie die von Wild im flachen Schnee, wie die Interferenz vieler Wellen, die eine Handvoll Kiesel auf der Oberfläche eines Teiches hinterlässt. Aber solches Zeichnen igelt sich nirgends ein, es ist immer Versuch und Wagnis; kann auch unversehens zum Abfahren werden, zum Aufbrechen und Los-Gehen. Immer wieder neu: Aus Fernweh oder Sehnsucht, ein Balancieren ohne Netz, ein Segeln im Wind, ein Suchen, ein täglich neues Risiko – nicht ohne Herzblut.

Rainer B. Schossig